1985, vor vierzig Jahren, war das Bild von Hans Runesson in Schweden das Foto des Jahres. Eine Frau schlägt einen Neo-Nazi mit der Handtasche. Die Frau war Danuta Danielsson, geb. Sen, die in Polen als Tochter jüdischer Eltern geboren war, und deren Mutter ein Konzentrationslager überlebt hatte. Der Schlag ereignete sich auf einer Demonstration der rechtsradikalen Nordiska rikspartiet.
Dreißig Jahre später wollte die schwedische Bildhauerin Susanna Arwin ein Denkmal zur Erinnerung an Danielssons couragiertes Eintreten gegen die Neonazi-Demonstration errichten. Dazu kam es jedoch nicht, da das Denkmal als gewaltverherrlichend nicht genehmigt wurde. Als Protest gegen diese Entscheidung wurden viele schwedische Standbilder mit Handtaschen verziert.
Man kann über die Anekdote ob der Einfachheit der „Waffe“ lächeln, man kann die Courage der Frau bewundern, man kann die Diskussion über die potentielle Gewaltverherrlichung ambivalent betrachten, und man kann das nachfolgende landesweite Verzieren von Standbildern mit Handtaschen als Widerstand auf die elegante Art anerkennen. Die Bedeutung von Widerstand wird dadurch jedenfalls vielfältig deutlich.
Nach gut hundert Tagen schwarz-roter Bundesregierung ist breite Ernüchterung eingekehrt. Umfragewerte der sogenannten demokratischen Mitte sind im Keller, und eine in weiteren Teilen als rechtsextrem eingestufte Partei ist in denselben Umfragen zur stärksten politischen Kraft geworden.
Das kann man nicht unbedingt auf eine ausschließlich miserable Bilanz der Regierung zurückführen. Mit Blick auf die Außenpolitik ist viel gelungen, was es nicht in den Focus der öffentlichen Diskussion geschafft hat bzw. sich dort nicht halten konnte. Deutschland hat in der Weltpolitik wieder eine Stimme. Nach Jahren mit einem blassen Bundeskanzler, in dem Deutschland in Europa und der Welt nicht mehr ernstgenommen wurde, hat der neue Amtsinhaber den deutsch-französischen Motor wieder zum Laufen gebracht, das Weimarer Format unter Einschluss von Polen wieder aktiviert und sogar seinen Antrittsbesuch im Weißen Haus durchaus erfolgreich gemeistert. In der sogenannten Koalition der Willigen gegen den immer noch tobenden brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine ist Deutschland treibende Kraft. Wenn man bedenkt, dass außenpolitische Themen wie die Bekämpfung dieses Angriffskrieges durchaus Relevanz für sehr konkrete innenpolitische Themen wie Migration oder Energiepreise haben, sollte anerkannt werden, dass das erst einmal hinzubekommen ist. Vor allem aber ist es eine Form von Widerstand, der mit Blick auf die dramatisch veränderte geopolitische Lage nicht hoch genug bewertet werden kann.
Ein weiteres Ziel von Widerstand sollte das kontinuierliche Erstarken der rechtpolitischen AfD sein. Das Ergebnis der Bundestagswahl war ein Weckruf. Große Mahnungen, dass diese Legislaturperiode „die letzte Kugel“ sei und die demokratische Mitte zusammenhalten müsse, um die demokratiefeindlichen Kräfte zurückzudrängen, wurden ausgesprochen. Tatsächlich war mit der Lockerung der Schuldenbremse und den Sondervermögen für Verteidigung, Infrastruktur und Klimaschutz nicht nur ein beeindruckendes Ergebnis dieses Zusammenhalts gelungen. Dieses gemeinsame Verständnis erodierte allerdings kontinuierlich, als es zur Tagespolitik und konkreten Themen wie Haushalt, Migration, Bürgergeld, Mindestlohn, Steuern, Energie etc. kam, zum Teil über Probleme, die bei einem Zivilisten im Luftschutzbunker in Kiew Kopfschütteln verursachen würden. Die Vorstöße stießen nicht nur auf massiven Widerstand aus der Bevölkerung, sondern auch vom Koalitionspartner. Die streitende Regierung war ein Deja vu, und die demokratische Mitte machte sich selbst zur Floskel. Der Widerstand gegen die demokratiefeindlichen Kräfte fiel dem Widerstand gegen den Partner zum Opfer. Die AfD ist mittlerweile in Umfragen stärkste Kraft.
Das weltweite und weitgehend funktionierende Gleichgewicht zwischen westlichen freiheitlichen Demokratien und östlichen Diktaturen funktionierte mit den vereinigten Staaten als tragende Kraft, die Widerstand gegen imperiale Bestrebungen leistete oder abschreckend in der Lage war zu leisten. Auch Europa hat sich leichtsinnig auf Amerika verlassen. Mit einem Präsidenten, der Diktatoren bewundert, sie für seine Freunde hält, ihnen aber vom Verhandlungsgeschick in keiner Weise gewachsen ist und dies nicht einmal erkennt, ist der Widerstand gegen Diktaturen deutlich geschwächt, und das nutzen diese Diktaturen gnadenlos aus. Der russische Präsident wirft dem Westen ab und zu einen Propagandabrocken wie „nächstes Gespräch mit Trump in naher Zukunft möglich“ zu und kann dann wieder wochenlang ungestört weiterbombardieren. Der hybride Krieg geht indes mittlerweile weit über die Ukraine hinaus. Der weitgehend zahnlose Rest der westlichen Welt zahlt für jahrzehntelange Naivität und Leichtsinn.
In den USA selbst baut der Präsident die älteste Demokratie der Welt systematisch in eine Diktatur um. Deportationen Unschuldiger, Mißachtung von Gesetzen und Gerichtsurteilen, Umgehung des Kongresses, rechtswidrige Besetzung demokratischer Staaten durch die Nationalgarde, Torpedierung der Unabhängigkeit der Notenbank, Gleichschaltung der Medien und Universitäten etc. etc., eine schwere Verfassungskrise.
Gibt es Widerstand? Die Republikaner im Kongress, die einen Eid auf diese Verfassung geschworen haben, schweigen. Die demokratische Opposition, deren Mitglieder einen Eid auf die Verfassung geschworen haben, schweigt zum überwiegenden Teil. Die Militärs, die einen Eid auf die Verfassung geschworen haben, gehorchen. Die Gerichte setzen Grenzen, kommen aber zum einen kaum hinterher und haben zum anderen keine Exekutivgewalt zur Durchsetzung der Urteile. “Flood the zone with shit” wirkt. Von 19 demokratisch regierten Staaten stellen sich nur die Gouverneure von Illinois und Kalifornien dem Präsidenten entgegen. Die Bevölkerung geht nur vereinzelt auf die Straße. Die meisten Universitäten und Unternehmen beugen sich dem Druck auf sie.
In den Social Media wimmelt es jedoch von kritischen Beiträgen, Kommentaren, Videos und Memes. Gavin Newsom, Gouverneur von Kalifornien hat sich mittlerweise zur lautesten Stimme des Widerstands aufgeschwungen und tut dies nicht nur mit Argumenten, sondern mittlerweile einer Kampagne aus Bildern und Memes, in denen er die Kommunikation des Präsidenten (persönliche Angriffe, laute Großbuchstaben, grenzenloses Selbstlob) imitiert und karikiert und sich mit selbst-heroischen Bildern über den Präsidenten lustig macht. Diese Kampagne mag stillos erscheinen, erweist sich aber als erstaunlich wirksam, wird vor allem wahrgenommen und scheint das erste wirksame Gegenmittel gegen “flood the zone with shit” zu sein.
Diese Kampagne wirkt auf den Beobachter ähnlich wie der Schlag von Danuta Danielsson 1985 in Schweden, nicht elegant, nicht vornehm, nicht diplomatisch, eher primitiv. Aber Widerstand ist manchmal nicht nur wichtig, sondern er muss auch effektiv sein … zur Not mit einer Handtasche.