Vor zwei Wochen fand die armselige Pressekonferenz im Oval Office statt, in der der Präsident der Ukraine vom US-Präsidenten und -Vizepräsidenten in unwürdiger Art gedemütigt, abgekanzelt und anschließend hinausgeworfen wurde. Zwei Statements darin: „You don’t have the cards“ und „With us you have the Cards“. Sie wurden geäußert von einem Mann, für den die Welt ausschließlich aus Deals besteht, für den sämtliche moralischen Maßstäbe, Partnerschaften, Gesetz und Ordnung irrelevant sind, und der sich für den größten Verhandler der Welt hält.
In ihrer Pragmatik kann man diesen Statements Zutreffendes abgewinnen. Verhandlungen sind mit Spielen vergleichbar. Anfang der 90er Jahre wurde an der Universität in Marburg Spieltheorie gelehrt, die sich mit rationalem Entscheidungsverhalten in sozialen Konfliktsituationen, das sich sowohl vom eigenen als auch vom Verhalten des Gegners ableitet, beschäftigt. „Zwei Autos fahren aufeinander zu. Erste Möglichkeit: Auto A weicht aus. Zweite Möglichkeit: Auto B weicht aus. Dritte Möglichkeit: Das Spiel endet lätal“ sagte damals ein Professor. In den letzten Wochen ist bei mehreren Gelegenheiten deutlich geworden, wie der Ausgang eines Spiels nicht nur davon abhängt, welche Karten auf der Hand sind, sondern auch, wie sie gespielt werden.
Donald Trump wollte ein schnelles Ende des Krieges. Das Versprechen, das in 24 Stunden zu erreichen, war lächerlich, aber passt zu ihm. Der Wunsch als solcher ist nichts Schlechtes. Die Karten, die er auf der Hand hatte, hätten schlechter sein können: Die USA ist die stärkste Militärmacht der Welt, ihr zur Seite stehen zahlreiche weitere starke westliche Partner, die mit großer Mehrheit die Notwendigkeit der Unterstützung der Ukraine sehen, die Ukraine selbst hat sich als erstaunlich widerstandsfähig erwiesen, die russische Armee ist nach drei größtenteils erfolglosen Kriegsjahren mit Verlusten seiner Soldaten, die sich dem siebenstelligen Bereich nähern, geschwächt, die russische Wirtschaft, ohnehin nur weniger als halb so groß wie die deutsche, liegt in Folge der Sanktionen und gigantischer Inflation am Boden, und die Bevölkerung kommt finanziell kaum mehr über die Runden. Die einzigen beiden schlechten Karten waren die grenzenlose Brutalität und Rücksichtslosigkeit gegenüber der eigenen Armee des russischen Präsidenten und sein weltweit wirksames Propagandageflecht, sein eigentlicher Machtfaktor.
Aus diesem „guten Blatt“ hat der „beste Verhandler der Welt“ wenig gemacht. Zunächst hat er Russland wieder auf die politische Bühne als vollwertigen Player geholt und international gestärkt. Als nächstes hat er fast panisch Druck aufgebaut, dass der Waffenstillstand sehr schnell kommen müsse, koste es, was es wolle, und machte sich so zum Sklaven seines absurden Wahlversprechens. Wenn ein Verhandlungspartner keine Zeit hat, ist er im vornherein in einer geschwächten Position, wenn das Gegenüber Zeit hat. Als nächstes wurden mit der Absage an eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine und der Aufgabe einer Rückgabe eroberter Teile von ihr Kernforderungen Russlands vorab stattgegeben und damit zwei Trümpfe kostenlos aus der Hand gegeben. Der größte Fehler war aber, sich in seinem Gegenüber in mehrfacher Hinsicht völlig zu verschätzen, zu glauben, er wäre an einem Waffenstillstand ernsthaft interessiert, zu glauben, er würde bei irgendeiner seiner Maximalforderungen nachgeben, was er seit drei Jahren nicht tut, zu glauben, er würde Respekt vor Donald Trump haben, obwohl er die Ukraine auch nach dem 20. Januar weiter mit Raketen überzieht, und zu glauben, dass er sich an irgendeine Vereinbarung halten würde, was er noch nie getan hat. Mittlerweile diktiert Putin die Bedingungen, und Trump steht unter einem riesigen Erfolgsdruck, schnell liefern zu müssen. Das sind keine guten Karten mehr.
In der letzten Woche wurde in Deutschland ein gewaltiges Schuldenpaket zur Sicherung der Verteidigungsfähigkeit des Landes und zur Wiederherstellung einer funktionierenden Infrastruktur zwischen den wahrscheinlich kommenden Koalitionspartnern CDU/CSU und SPD verabredet, dass noch im alten Bundestag verabschiedet werden soll. Für diese Verabschiedung braucht es eine Zweidrittelmehrheit, die nach Absagen der anderen Parteien nur noch mit den Grünen möglich ist. Unter Missachtung des politischen Grundhandwerks haben die kommenden Koalitionspartner aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht und die Grünen nicht in’s Boot geholt, sondern das Schuldenpaket als kommenden durchschlagenden Erfolg verkündet und an die staatspolitische Verantwortung der Grünen appelliert, dem Paket zuzustimmen, diesen Grünen, die die Chefs von CDU und CSU im Vorfeld auf das Übelste beschimpft und angegriffen haben.
Die Karten in dieser Situation waren gemischt verteilt. Die Grünen wussten, dass dieses gigantische Paket ohne ihre Zustimmung nicht verabschiedet werden würde. Das sind ziemlich gute Karten. Die kommenden Regierungsparteien wussten aber auch, dass dieses Schuldenpaket in der aktuellen rasanten Umwälzung der Weltordnung und der anstehenden neuen Zusammensetzung des Bundestags ein derartiges Momentum im Rücken hat, dass sein Scheitern faktisch keine Option ist. Das sind schwache Karten. Was die Grünen aus diesem Blatt gemacht haben, war in mehrfacher Hinsicht beeindruckend:
Erstens haben sie das fortgesetzte und unsachliche Bashing aus den Reihen der schwarzen Parteien in der ersten Lesung im Bundestag am Donnerstag mit einer sachlichen und gerechtfertigten Retourkutsche beantwortet. Dass dieses Schuldenpaket gegenüber der mantraartigen Verteidigung der Schuldenbremse im Wahlkampf durch die Konservativen eine Kehrtwende um 180 Grad bedeutet, ist nicht abzustreiten. Die geänderte Weltordnung war schon vor dem 23. Februar zu erkennen.
Zweitens: Anstatt das Paket in der entscheidenden Abstimmung auflaufen zu lassen, haben die Grünen Anfang dieser Woche, drei Tage vor der ersten Lesung, angekündigt, dass sie ihm in dieser Form nicht zustimmen werden. Das hat mit anspruchsvoll kurzem, aber realistischem Vorlauf Verhandlungen zu einem vernünftigen Ergebnis ermöglicht. Das war fair und konstruktiv.
Drittens: Die Grünen haben diese Verhandlungen natürlich genutzt, um ihre Vorstellungen so weit wie möglich durchzusetzen, aber auch erkannt, wie weit sie in dieser Situation gehen können. Mit dem heutigen Tag ist ein geändertes Paket zur Einigung gelangt – in diesen Dimensionen in vier Tagen.
Viertens sind die eingebrachten Punkte vernünftig. Die hundert Milliarden für den Klimaschutz sind ebenso nötig wie Investitionen in Sicherheit und Infrastruktur. Der Klimawandel ist auch eine große tickende Zeitbombe, bei der die Zeiger sich nur langsamer drehen als bei der Sicherheitslage. Außerhalb des Kernthemas der Grünen trägt die Ausweitung der Ausgaben für Verteidigung auf innere und Cybersicherheit der geänderten Lage in diesen Bereichen Rechnung. Die Festlegung, dass es sich bei dem Sondervermögen für Infrastruktur um Ausgaben für zusätzliche Projekte handeln muss und keine laufenden Ausgaben sein dürfen, bringt sogar ein Element zur Kontrolle der Haushaltsdisziplin in das Paket, normalerweise ein Thema, das sich die konservativen Parteien auf die Fahne schreiben.
Die Überschrift über unserem letzten Beitrag lautete „Europa wird erwachsen“. Das ist in Deutschland in dieser Woche ein Stück weit den Grünen zu verdanken.