20.2.2025
Letzte Woche hat ein wegen Betrug in 34 Fällen verurteilter Straftäter einen verurteilten Kriegsverbrecher angerufen und um ein Treffen gebeten. Verhandelt werden soll ein Frieden in einem Land, dass seit drei Jahren von dem Kriegsverbrecher bombardiert und mit Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit überzogen wird, wo Zivilisten, Krankenhäuser, Kindergärten und gezielt die Infrastruktur beschossen werden, um die Menschen erfrieren zu lassen. Um den Frieden zu beschleunigen, gesteht der Straftäter dem Kriegsverbrecher über seine Minister dessen Bedingungen schon vorab zu.
Der Straftäter ist seit einem Monat Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, der ältesten Demokratie, größten Wirtschaftsmacht (GDP 2023 28 Bio. USD) und größten Militärmacht (453.000 Soldaten und über 500.000 Reservisten) der Welt. Der Straftäter mag aber keine Demokratie, ebenso wenig Recht und Gesetz, da er ihnen nichts abgewinnen kann und sie seinem Ego im Weg stehen. Er möchte lieber König sein. Daher schafft er Demokratie und Gewaltenteilung gerade ab. Minister, die keine ausreichende Qualifikation haben, ihm aber hörig sind, sind vom Kongress durchgewunken worden. Letzterer hat nun seinen Job gemacht und wird nicht mehr gebraucht. Mühselige Gesetzgebungsprozesse, die seine Zustimmung erfordern würden, werden durch Dekrete ersetzt, mit denen der Präsident das Land überschwemmt, getreu dem Ratschlag seines früheren Chefberaters Steve Bannon „Die eigentliche Opposition sind die Medien. Und der beste Umgang damit ist, die Zone mit Scheiße zu fluten.“ Den Gerichten, die eingeschritten sind, um die rechtswidrigen Dekrete aufzuhalten, wird gesagt, sie hätten der Exekutive nicht hineinzureden. Medien, die nicht „auf Linie“ sind, werden aus dem Weißen Haus verbannt. Ehemaligen hochrangigen Widersachern wird der Personenschutz entzogen. Zigtausenden Staatsdienern wird als angeblichen Mitarbeitern des deep state gekündigt. Behörden, die nicht dem „America first“-Postulat entsprechen, wie USAID, werden binnen weniger Stunden geschlossen. Vieles davon hat sich angekündigt, aber das Tempo der Umsetzung verschlägt vielen den Atem.
Ego braucht Platz, in diesem Fall über Amerika hinaus. Wenn Kanada zum 51. Staat der USA würde, der Panamakanal und Grönland unter amerikanischer Kontrolle stünden, und wenn der Golf von Mexiko Golf von Amerika hieße, würde das zusätzlichen Raum für dieses Ego schaffen. Weil die Agentur AP die Bezeichnung „Golf von Mexiko“ weiter verwendet, sind ihre Reporter aus dem Weißen Haus verbannt.
Ego steht auch im Konflikt mit Multilateralität, Loyalität, Partnerschaften und Bündnissen wie dem größten Verteidigungsbündnis der Welt, der NATO. Für den Präsidenten, ganz Geschäftsmann, ist die NATO nichts wert, wenn sie für die USA ein Verlustgeschäft ist. Amerika ist noch Mitglied der Nato, aber Artikel 5, der mit seiner Beistandsverpflichtung die Grundlage der Abschreckungswirkung der westlichen demokratischen Welt gegen die östlichen Autokratien wie vor allem Russland darstellt, ist vom Präsidenten zur Disposition gestellt.
Und Ego mag Ego. Die Bewunderung von Trump für Menschen wie Putin, Kim Yong und Xi Jinping ist bekannt und rührt auch daher, dass sie nicht durch lästige demokratische Kontrollinstanzen behindert werden, sondern in ihrem Land das Königreich, an dem er noch arbeitet, schon aufgebaut und ihr Land im Griff haben, die Stärke besitzen, die er erst noch erlangen will.
Der Kriegsverbrecher ist Herrscher Russlands, einem wirtschaftlich kleinen Land (BIP 2 Bio. USD, weniger als halb so groß wie Deutschland), das jedoch über immense Energiereserven und eine große Armee von ca. 1,3 Mio aktiven Soldaten und 2 Mio. Reservisten verfügt. Dieser Herrscher hat als offen kommuniziertes Ziel, die Sowjetunion wieder herzustellen und sieht sich in einer Tradition mit Peter dem Großen. Dieser Herrscher möchte daher auch NATO-Mitglieder wie Polen und Ungarn wieder „zurück in der Familie haben“. Zunächst war aber die Ukraine, die sich zu einer freien Demokratie direkt in der russischen Nachbarschaft entwickelt hatte, unerträglich geworden. Daher erfolgte der Einmarsch.
Vordergründig ist das Ego dieses Herrschers in seinem Ausmaß vergleichbar mit dem des amerikanischen Präsidenten. Er bewegt sich jedoch in einigen Bereichen seiner Herrschaft in anderen Kategorien, was ihn teils stärker, teils schwächer macht:
In der Brutalität seiner Machtdurchsetzung geht er deutlich weiter. Für den US-Präsidenten zählen andere Menschen nicht, für den russischen zählen Menschenleben nicht. Wer nicht „auf Linie“ ist, wird nicht des Presseraums verwiesen oder bekommt den Personenschutz entzogen, sondern wird in Straflager gesteckt oder gleich umgebracht. Mittlerweile über 800.000 Soldaten an der Front verheizt zu haben, teilweise unausgebildet und als schieres Kanonenfutter, bereitet diesem Mann keinerlei Kopfzerbrechen. Wenn der Erfolg sich nicht einstellt, entfällt die Relevanz von Kriegs- und Völkerrecht, und Zivilisten, Kindergärten, Krankenhäuser und Infrastruktur werden bombardiert.
Während der US-Präsident kommunikativ eher mit der Abrissbirne unterwegs ist, betreibt der russische ein fein gewebtes Propagandainstrumentarium, das sich mit Falschinformationen in den sozialen Netzwerken krakenartig ausgeweitet hat, und ein verläßliches Netz an Repräsentanten, die etwa auf dem Stuhl des ungarischen Präsidenten sitzen oder mit der AfD und dem BSW und damit einem Anteil von ca. 25% die Umfragen zur Wahl des deutschen Bundestags bestimmen. Flankierend kommen Cyber-Angriffe auf breiter Basis dazu. Er verfügt auch über wesentlich elegantere manipulative Techniken und weiß wo er den Psychopathen und Narzissten aus Washington packen kann.
Während der US-Präsident Verträge wie mit der WHO oder das Pariser Klimaabkommen kündigt, bricht der russische sie. Das Budapester Memorandum, demzufolge die Ukraine ihre Atomwaffen abtrat im Gegenzug gegen Sicherheitsgarantien, verkam zu einem wertlosen Stück Papier.
Während der US-Präsident eher erratisch und impulsiv agiert, simple und schnelle Ergebnisse sucht, ist sein Gegenüber ein Ex-KGB-Mann, der mit geheimdienstlichen Techniken arbeitet, die der US-Präsident wahrscheinlich nicht einmal erkennt. Dazu gehört vielleicht auch, dass Russland nach den bisherigen schnellen Erfolgen den US-Präsidenten erst einmal wieder zappeln lässt, bis „zu gegebener Zeit“ ein Treffen zustande kommt.
Eine Schwäche liegt in dem angstgetriebenen Apparat, wo auch der Präsident teilweise nur geschönte Wahrheiten zu hören bekommt und meint, über eine stärkere Armee zu verfügen, als er das tatsächlich tut. Die Idee, die Ukraine in ein paar Tagen einzunehemen, erwies sich als dramatische Fehleinschätzung. Auch nach 3 Jahren sind die Geländegewinne „nur“ bei ca. 20 Prozent.
Nach dem erfolgreichen Testballon mit der Annexion der Krim in 2014, vielleicht das größte Versagen der westlichen Welt in diesem Krieg, wehte der Gegenwind nach dem Einmarsch im Februar 2022 deutlich rauer. Die westlichen Sanktionen schwächten die russische Wirtschaft massiv, und das Land wurde außenpolitisch isoliert.
Diese Isolation wurde in einem Telefonat in der letzten Woche aufgehoben. Russland sitzt wieder mit am Tisch, und der US-Präsident empfiehlt seine Wiederaufnahme in die dann G8-Staaten. Die Bewunderung des Kriegsverbrechers durch den Straftäter geht sogar soweit, dass letzterer die russische Propaganda ungefiltert übernimmt, den ukrainischen Präsidenten als Diktator ohne Legitimation bezeichnet und ihm die Schuld an Russlands Angriffskrieg gibt. Wenn es zu einem sogenannten Frieden zu den Bedingungen dieser beiden Mächte kommt, werden die Sanktionen logischerweise aufzuheben sein, Russlands Wirtschaft kann sich erholen, und die Wiederaufrüstung kann mit voller Fahrt aufgenommen werden, damit in ein paar Jahren die nächsten Teile der Ukraine eingenommen werden können. Es ist wenig verwunderlich, dass die bisherigen Botschaften aus den USA von den ranghohen russischen Vertretern und in den russischen Medien gefeiert werden. In einem Telefonat sind die beiden Schwächen der russischen Position ausgemerzt worden.
Die Europäische Union hat sich über Jahrzehnte von einer Bürokratie, die wegen ihrer Normierung von Maßen belächelt wurde, zu einer Staatengemeinschaft entwickelt, die unter anderem Griechenland vor dem Staatsbankrott gerettet hat, und ist zu einer wirklichen Wirtschaftsunion mit der dementsprechenden Macht geworden. Dieselbe Europäische Union ist aber auch zunehmend zur Geißel ihres Einstimmigkeitserfordernisses geworden, die von starken Egos wie dem ungarischen Präsidenten erpressbar wurde. Rechtspopulistische und antieuropäische Fliehkräfte schwächen Sie weiter. Ihr deutsch-französische Motor harmoniert nicht mehr, und seine beiden Regierungschefs sind politisch gelähmt.
Vor allem aber hat Europa sich über Jahrzehnte auf die Partnerschaft mit und die sicherheitspolitische Rückendeckung durch die USA verlassen, eigene Vorsorge für die eigene Sicherheit sträflich vernachlässigt, und dadurch einen guten Teil seines Wohlstandes finanziert. Bei dem Telefonat zwischen dem russischen und dem amerikanischen Präsidenten hat Europa gar keine Rolle gespielt, und bei den geplanten Friedensverhandlungen ist Europa überhaupt nicht eingeladen. Die westliche Allianz befindet sich in der Auflösung.
Der Kanzlerkandidat der CDU, Friedrich Merz sagte in einer Talkshow einmal: „Wenn die Ukraine fällt, wird es für uns alle sehr sehr teuer.“ Das würde – oder wahrscheinlich wird – mehrere Implikationen haben:
Der anschließende Strom an Flüchtlingen wird ein Europa überschwemmen, in dem schon jetzt eine Belastungsgrenze beklagt wird. Nicht nur entsprechende finanzielle Belastungen für öffentliche Haushalte, sondern auch weiter kippende Stimmungen in der Bevölkerung und die damit einhergehende Stärkung rechtspopulistischer Parteien werden enorme Herausforderungen darstellen.
Der zum Fragezeichen gewordene Transatlantische Zusammenhalt bringt sehr plötzlich eine akute Notwendigkeit für Europa mit sich, sich schnell von den USA abzunabeln und verteidigungsfähig zu werden. Der Schoß Amerikas, in dem Europa es sich über Jahrzehnte gemütlich gemacht hat, ist seit zwanzigsten Januar nicht mehr da. Das ist seit Jahren ein reales Szenario, aber man hat die Augen davor verschlossen. Die Aufrüstung wird Beträge erfordern, die die mühsame bisherige Diskussion um das 2 Prozentziel geradezu lächerlich erscheinen lassen werden, von den schnell aufzubauenden Produktionskapazitäten der Rüstungsindustrie, die wiederum Planungssicherheit und öffentliches Commitment voraussetzen, noch nicht zu reden.
Die dramatischen notwendigen Veränderungen haben noch keinen Rückhalt in der Bevölkerung. Die geopolitische Bedeutung des Krieges in der Ukraine ist in weiten Teilen noch gar nicht angekommen und hat auch z.B. im aktuellen Bundestagswahlkampf gegenüber Themen wie Migration und Inflation mit ihren Wohlstandsauswirkungen nur eine untergeordnete Rolle gespielt. In der Ukraine ist seit drei Jahren zu sehen wie schnell und plötzlich Wohlstand weg sein kann.
Die bisherige Weltordnung beruhte auf einer über Jahrzehnte aufgebauten westlichen Wertegemeinschaft auf Augenhöhe mit den östlichen Autokratien, getragen durch multilaterale Partnerschaften, ein verlässliches Verteidigungsbündnis unter Führung der USA und die dadurch ermöglichte Abschreckung der autokratischen Welt. Einer der gemeinsamen Werte war der Respekt vor der nationalen Souveränität von Staaten, die man daher nicht überfällt. Mit einem Telefonat hat der US-Präsident diese Wertegemeinschaft aufgekündigt, und Augenhöhe und Abschreckung sind in großen Teilen Vergangenheit. Die Wertegemeinschaft ist massiv geschwächt. China, das ein Auge auf Taiwan geworfen hat, wird diese Entwicklung mit Wohlwollen beobachten und hat sich dementsprechend positiv zu ihr geäußert. Der wichtigste Chiphersteller der Welt in autokratischer Hand wird eine gigantische Abhängigkeit aller westlichen Staaten von China nach sich ziehen, die die frühere Abhängigkeit Europas von den Energielieferungen aus Russland noch deutlich übertreffen könnte.
Europa sitzt seit dem Telefonat in der letzten Woche verwaist im Fadenkreuz eines unersättlichen Imperialisten und rücksichtslosen Kriegsverbrechers und hat ihm nicht wirklich viel entgegenzusetzen.